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Die Südseite der Gotthardbefestigung

Der «Mythos Gotthard» ist auch ein «Mythos Gotthardfestung». Nirgendwo anders in den Alpen wurde der Festungsbau in den letzten 150 Jahren so intensiv betrieben wie am Gotthard. Noch heute sind die steinernen Zeugen aus dem Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert sowie aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zu sehen. Sie erzählen Geschichten aus stürmischen Zeiten, von wechselnden Bedrohungen und dem unbedingten Willen, den Sankt Gotthard als die Alpentransversale par excellence für den Kontinent zum friedliche Gebrauch offenzuhalten und seinen Missbrauch zu kriegerischen Zwecken zu verhindern.

Die Geschichte der modernen Gotthardbefestigung beginnt 1882 mit der Eröffnung der Gotthardbahn. Mit dieser neuen Transversale verkürzte sich die Reise durch die Alpen mit einem Schlag auf einen Bruchteil der früheren Reisezeit. Auf einmal wurde denkbar, was bisher noch nie gelang: Eine Armee in genügender Stärke schnell genug von der einen auf die andere Seite der Alpen werfen zu können, um dort die Entscheidung erzwingen zu können. Diese neuen militärischen Möglichkeiten weckten auch das Interesse des benachbarten Auslands. Der 1882 geschlossen Dreibund zwischen dem Deutschen Reich, Österreich/Ungarn und Italien, der sich gegen Frankreich richtete, liess keinen Zweifel daran, dass die Einnahme der Gotthardachse zu seinen strategischen Zielen gehörte. Diese akute Bedrohung der Schweiz führte zum Bau der Gotthardfestung, der gewaltigsten fortifikatorischen Leistungen, welche die Schweiz jemals hervorbrachte. Mit der Möglichkeit, die Gotthardachse mit den neuen Festungen abzuriegeln, wurden die Pläne des Dreibunds Makulatur.

Unter diesen Vorzeichen standen die ersten drei Bauetappen der Gotthardfestung:

Erste Bauetappe: 1886 bis 1894

  • Sicherung des Tunnelportals bei Airolo (1886-87)
  • Gepanzertes Artillerie-Fort Fondo del Bosco («Forte Airolo», 1887-92)
  • Verbindungstunnel Fort Fondo del Bosco – Richtstollen beim li>Tunnelportal (1889-92)
  • Provisorisches Artilleriewerk Motto Bartola (1888-90)
  • Flankiergalerie Stuei (1892-94)
  • Redoute Hospizwerk St. Gotthard (1893-94)

Zweite Bauetappe: 1895-1910

  • Banchi-Weg (Gotthard-Hospiz – Alpe di Fieudo, 1898)
  • Drei Infanteriewerke auf dem Fieudo-Grat (1902-04 und 1905-07)
  • Ausbau des Artilleriewerks Motto Bartola (1901-10)
  • Ausbau der Redoute Hospizwerk St. Gotthard (1898-1910)
  • Ausbau der Flankiergalerie Stuei (1910-11)
  • Drei Blockhäuser beim Portal des Eisenbahntunnels (1899-1910)

Dritte Bauetappe: 1911-1920

  • Gepanzerte Kehlkaserne Foppa mit Verbindungsstollen zum Fort Fondo del Bosco (1913-17)
  • Kehlkaserne beim Artilleriewerk Motto Bartola mit Verbindungstunnel zum Fort Fondo del Bosco, zusätzliche Geschützbatterien (1911-14)
  • Ausbau der Redoute Hospizwerk St. Gotthard (1911-17)
  • Vorbereitete Artillerie-Stellung Cassino (nach 1913)
  • Vorbereitete Artillerie-Stellungen auf Scara Orell (nach 1913)
  • Flankieranlage mit Maschinengewehren bei Cima del Bosco (nach 1913)

Schon während des Ersten Weltkriegs brach der Dreibund auseinander und neue Allianzen bildeten sich. Für die Gotthardfestung wuchs die Bedrohung, als der italienische Diktator Benito Mussolini auf den San Giacomo-Pass eine neue Fahrstrasse bauen liess. Sie wurde 1929 eröffnet und führt von Domodossola durch das Val Formazza bis zur Schweizergrenze über dem Bedretto-Tal. Dort endet sie auf einem Wendeplatz. Die Luftdistanz vom San Giacomo-Pass bis zum Gotthard-Südportal und dem Gotthard-Hospiz beträgt von hier noch 14 km – für die damalige schwere Artillerie der italienischen Armee eine problemlose Schussdistanz. Bereits anlässlich der Eröffnung der neuen Strasse machte Mussolini deutlich, dass die Strasse auch militärische Zwecke verfolgt. Die Schweizer Armee empfand den San Giacomo-Pass deshalb wie ein Messer im Herzen der Schweiz. Diese Furcht vor einem Durchbruch italienischer Truppen beim San Giacomo-Pass sowie die Machtübernahme von Hitler in Deutschland von 1933 löste im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs die vierte Bauetappe auf der Südseite der Gotthardbefestigung aus. Als im Sommer 1940 Frankreich unerwartet vor Hitlers Armee kapitulierte und Mussolini an der Seite Hitlers in den Krieg eintrat, geriet die Schweiz in den Würgegriff der Achsenmächte Deutschland und Italien. General Guisan entschied darauf, im Alpenraum das «Réduit national» zu beziehen. Dem Gotthard mass er eine besonders grosse Bedeutung zu. Er sollte zur «Zitadelle der Alpen», dem Kern des stärksten und letzten Widerstandes, und zugleich dem zentrale Kommandoposten für die Alpenübergänge, über welche die Schweiz die Kontrolle zu behalten hatten, ausgebaut werden. Damit fiel Entscheid für die fünfte Bauetappe, die bis 1945 dauerte. Nach dem Zweiten Weltkrieg verringerte sich die Bautätigkeit an der Gotthardbefestigung. So wurde noch das Artilleriewerk Foppa Grande mit einem 12 cm-Festungsminenwerfer ergänzt und die Flankiergalerie Stuei ausgebaut. In den 80er- und 90er-Jahren wurden zudem die Bunkeranlagen der 12 cm-Festungsminenwerfer und der 15.5 cm-Festungskanonen «BISON» gebaut. Die früher errichteten Festunsgwerke wurden alle bis 1998 stillgelegt. Sie wurden zum Teil zivil umgenutzt und öffentlich zugänglich gemacht (Fondo Bosco, Sasso da Pigna, San Carlo).

Vierte Bauetappe (1935-40)

  • Infanteriewerk, Blockhaus und Maschinengewehrstellungen auf dem San Giacomo-Pass mit Seilbahn von All’Acqua zum San Giacomo-Pass (1935-39, Totalerneuerung der Seilbahn 1948)
  • Artilleriewerk Grandinagia (1936-38, umgerüstet 1940)
  • Artilleriebunker Manegorio (ca. 1939-40)
  • Geschützunterstände im Bedretto-Tal: Cioss Prato, Ronco-Selva, Ronco-Munda (nach 1939)
  • Artilleriewerk San Carlo (1938-42)
  • Artilleriewerk Foppa Grande (1939-42)

Fünfte Bauetappe (1941-45)

  • Artilleriewerk Sasso da Pigna (1941-45)
  • Panzerabwehrbunker an der Tremola (1943)
  • Ausbau des Artilleriewerks San Carlo (1943-46)
  • Ergänzung des Artilleriewerks Foppa Grande (1945, umgebaut und erweitert 1951-61).
09 San Gottardo 09 Höhenprofil Airolo FFS - Forte Airolo 09 Höhenprofil Airolo - San Gottardo - San Carlo

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